
Wuchtig. Kalt. Und er zieht sich durch die winzigen Ritzen des Reisverschlusses. Er findet jedes Stück Haut und faucht es an. Der Wind, der den ganzen Vormittag schon arbeitet und zeigt, dass er hier die Macht hat, und wenn er will, noch unbarmherziger mit mir sein kann.
Ich ziehe meine Ärmel weiter herunter, den Schal höher und die Mütze tiefer. Aber es funktioniert nicht, sobald ich wieder das Fernglas hebe, sind die Ärmel wieder über die Handgelenke gerutscht, der Schal legt meine Kehle wieder frei und die Mütze schiebt sich vom Hinterkopf. Aber ich trotze dem Wind. Denn ich habe lange auf diese Sicht gewartet und in den Himmel geschaut, jeden gleitenden Vogel in der Ferne geprüft, ob er es nicht doch sein könnte. Wenn man ihn einmal hat fliegen, gleiten sehen, dann will man ihn immer wieder sehen. Den Seeadler.
Seine Flügel, wie schwarze Bretter mit Fingern an den Enden. Seine Erhabenheit, wie er seine Kreise zieht, ohne die Flügel zu schlagen. Sich höher und höher schraubt in den Himmel. Als ob es keinerlei Mühe braucht, zu fliegen. Keinen Bauplan, keine Ingenieurskunst.
Mein Körper wiegt sich mit dem Segelflug des Seeadlers. Bis mein Fernglas ihn verliert, da er in der Weite des Himmels verschwindet. Ich senke das Fernglas ab. Meine Augen tränen, ich muss sie schließen, der kalte Wind beißt auch sie. Aber ich bin sein Gast, sein Gast in der Natur, die stärker ist als ich. Und ich bin berührt. Berührt von der Schönheit des Moments.
Schottland 2022