Gut gehalten

„Was über 50? Du hast Dich aber gut gehalten!“ Ich gebe es mit meiner ganzen Eitelkeit zu: In den ersten Momenten überwiegt das Geschmeicheltsein, der Stolz, nicht in die Schublade „alt“ einsortiert worden zu sein. Und es irgendwie geschafft zu haben, dem „Alter“ die Stirn bis hierhin geboten zu haben. In den nächsten Momenten bin ich aber schon entrüstet. Wirklich! „Gut gehalten!“ Als ob ich ein verschrumpelter Apfel wäre, der drei Wochen in der Tasche mitgeschleppt wurde und zu aller Überraschung doch noch ansehnlich und vielleicht sogar noch genießbar ist. Als ob ich über dem Verfallsdatum wäre. Frechheit!

Ich bin über 50 und das mit Leib und Seele. Mit all dem, was dazu gehört: Genuss, Erfahrung, Lebenslust und Verlusten, Lesebrille, Arthrose und digitalem Unbehagen. Nein, ich will keine 20 oder 30 mehr sein. Auf keinen Fall. Das war toll, ohne Frage, aber jetzt ist eine andere Zeit. Ich muss nicht mehr jedem Ball hinterherlaufen, immer schneller und höher werden, ich gönne mir Langsamkeit und Kommentare. Ich weiß besser als früher, was ich will und was nicht. Und ich bin dankbar, was das Leben mir bisher an Gesundheit und Frieden geschenkt hat.

Klar, kann man nachhelfen, „damit man sich hält“. Mit Make-up und Frisur und den grauen Faltenrock nicht kaufen. Wir tun oft so, als ob unser Körper sich nicht verändern darf, reifer, charakteristischer werden darf. Aber er fragt nicht danach, er tut es einfach. Und das ist doch etwas Wunderbares. Sagt er uns und den anderen doch, dass wir leben, atmen, viel schon erlebt haben. Ja, ich kann die Hundertmeter nicht mehr wie früher mit 20 in 14 Sekunden laufen. Ich kann keine vier Meter mehr weit oder einen Salto vom Schwebebalken springen. Die Zeiten sind vorbei. Längst.

Sie waren ein Geschenk, das mich geprägt hat, an das ich mich gern zurückerinnere. Jedes Jahrzehnt birgt für mich eigene Geschenke, ich muss sie nur auswickeln, auch wenn dabei die eine oder andere Falte zutage kommt. Und die kann ich dann ja mit ein bisschen Make-up…